Die Wirtschaft dekarbonisiert mit bewährter Technik

München Bessere Effizienz und mehr Strom aus Erneuerbaren – dies sind aktuell laut einer branchenübergreifenden Umfrage der Strategieberatung Oliver Wyman die wichtigsten Hebel für die Dekarbonisierung der Wirtschaft in Europa. Zwar wird auch das hohe Potenzial von CO₂-Abscheidung und -Speicherung (CCS) sowie grünem Wasserstoff und E-Fuels von den Unternehmen erkannt. Doch in der betrieblichen Praxis spielen die Zukunftsthemen erst eine kleine Rolle. Die Politik könnte die Dekarbonisierung nach Expertenansicht beschleunigen, indem sie Investitionen in eine verbesserte CO₂-Bilanz steuerlich begünstigt.

Wie gelingt die grüne Transformation in Europa am schnellsten? 89 Prozent der Entscheider der Wirtschaft halten Investitionen in Erneuerbare und Energieeffizienz derzeit für den wesentlichen Schlüssel zum Erfolg – und setzen damit auf bewährte Technik. Dies ist das Kernergebnis des „Decarbonization Survey 2023“ der Strategieberatung Oliver Wyman und dem Lehrstuhl für Controlling von Prof. Dr. Gunther Friedl der Technischen Universität München (TUM), TUM School of Management. Befragt wurden über 200 europäische Unternehmen aus den Branchen Energie, Chemie, Maschinenbau, Rohstoffe, Transport, Dienstleistungen und Konsumgüter, knapp jede vierte Stimme (23 %) kam aus Deutschland. „Dekarbonisierung stellt eine immense Herausforderung dar, die wir jedoch mit Entschlossenheit, innovativen Ansätzen und den richtigen Anreizen zur Steuerung langfristigen Handelns bewältigen können. Hierbei ist entscheidend, dass Unternehmen, Regierungen und die Gesellschaft als Ganzes zusammenarbeiten, um die notwendigen Veränderungen zu ermöglichen. Die Dekarbonisierung ist nicht nur eine ökologische Verpflichtung, sondern auch eine einzigartige Chance für Innovation sowie ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum“, sagt Prof. Friedl. „Strom aus Windkraft oder Photovoltaik zu nutzen und Effizienzmaßnahmen umzusetzen, wird von Unternehmen als essenziell für ein rasches Erreichen ihrer Klimaziele betrachtet“, sagt Jörg Stäglich, Leiter der europäischen Energy & Natural Resources Practice und globaler Leiter des Bereichs Energieversorger bei Oliver Wyman. Er hält die Neigung zu erprobten Lösungen – in der Studie als „Green Essentials“ zusammengefasst – für unternehmerisch sinnvoll: „Die Anforderungen sind geringer und es gibt eine Aussicht auf rasche Erfolge bei der Dekarbonisierung.“

Als aktuell ebenfalls wichtige Hebel einer nachhaltigen Transformation werden von 68 Prozent der Befragten die Kreislaufwirtschaft sowie mehr Ressourceneffizienz genannt – als „Extended Core (Erweiterter Kern)“ werden diese Ansätze in der Studie gebündelt. „Es gibt einen klaren Trend hin zur Implementierung entsprechender Maßnahmen“, sagt Stäglich. Viel diskutierte Themen wie CO₂-Abscheidung und -Speicherung (CCS) oder auch die Nutzung von grünen Molekülen, zu denen etwa grüner Wasserstoff gehört, haben hingegen bislang wenig praktische Relevanz. Erst 10 Prozent attestieren den Zukunfts-Technologien der Kategorie „Emerging Eco-Revolution“ schon heute eine hohe Bedeutung. Mit Blick auf die Zukunft verdoppelt sich dieser Wert bei der CO₂-Speicherung nahezu (+ 88 %). „Besonders die CO₂-Speicherung hat das Potenzial, CO₂-intensive Branchen zu revolutionieren – etwa die Rohstoffindustrie“, sagt Stäglich. „Gezielte Förderungen in der Frühphase können den Einsatz beschleunigen.“ Der Staat sei hier in der Pflicht.

Energiewirtschaft als Enabler

Als Vorreiter zeigt sich der Energiesektor, der etwa über Partnerschaften mit anderen Branchen in eine Schlüsselrolle für die Dekarbonisierung rücken könnte. „Die Erneuerbaren und Energieeffizienz sind für sie Tagesgeschäft“, sagt Thomas Fritz, Partner Energy & Natural Resources und Co-Head Climate & Sustainability in Europa bei Oliver Wyman. „Mit ihrer Erfahrung und Expertise können Versorger die Rolle des Enablers für andere Branchen übernehmen.“ Als Beispiel für eine solche Partnerschaft nennt Fritz die Kooperation des Stahlproduzenten Salzgitter mit dem Energiekonzern Eon bei grünem Wasserstoff. Die Stahlindustrie zeigt laut Studie besonders hohes Interesse an CCS – schreckt aber vor den erwarteten hohen Investitionen zurück. Grüne Moleküle haben besonders die Rohstoffindustrie sowie der Chemie-, Energie- und Transportsektor ins Auge gefasst, um ihre CO₂-Bilanz zu verbessern. „Hier geht es vor allem darum, passende Anwendungsfälle und geeignete Umsetzungspfade zu finden“, sagt Fritz.

Fraglich ist, wie stark und mit welchen Mitteln der Staat eingreifen sollte, um die Dekarbonisierung voranzutreiben. Eine direkte Subventionierung von Industriestrom wie derzeit von der Bundesregierung diskutiert, hält Jörg Stäglich für den falschen Weg. „Zielführender wären beispielsweise Steuergutschriften für Investitionen in CO₂-mindernde Technologien nach dem Vorbild des US-amerikanischen Inflation Reduction Act“, sagt er. „Hier sollte die Regierung ansetzen, um die deutsche Wirtschaft bei den Energiekosten zu entlasten und besonders den Industriestandort Deutschland zu stärken.“ Gleichzeitig könne der Staat ein wichtiges Signal an die Wirtschaft senden: „Wenn die Regierung auf eine bestimmte Technologie setzt und diese fördert, verringert das die Unsicherheit“, sagt Stäglich. „Unternehmen wissen dann, dass auch andere mitziehen werden.“ Viele Unternehmen treiben bereits eigenständig die Dekarbonisierung mithilfe unternehmensspezifischer ESG-Kriterien voran: „Für die Bewältigung der Dekarbonisierung sind die richtigen Anreize zur Steuerung langfristigen Handels elementar. Die ESG-Kriterien nehmen hierbei eine immer bedeutendere Rolle ein. Die richtige Incentivierung der Vorstände über langfristig angelegte Vergütungsstrategien bleibt eine zentrale Voraussetzung dafür, dass unsere Unternehmen auch langfristig Erfolg haben“, sagt Prof. Friedl.

Größte Sorge ist die Finanzierung

Gefragt nach den Hemmnissen der Dekarbonisierung stehen an erster Stelle die Finanzierung der Investitionen sowie die Betriebskosten. „Kosten sind für alle ein Thema“, sagt Thomas Fritz, doch ein genauer Blick lohne. „In Branchen wie Konsumgüter und Handel sowie Transport herrschen mit Blick auf die Kosten die größten Bedenken.“ Auch seien die passenden Lösungen für viele Teile der Wertschöpfungskette von Konsumgüterherstellern und Handelsunternehmen noch nicht verfügbar. „Diese Unternehmen stehen aktuell unter starkem Ergebnisdruck und in Punkto Nachhaltigkeit ist Energie nur einer von vielen Aspekten“, sagt Fritz. Ganz anders das Transportgewerbe: Hier habe das Management wenig Probleme, geeignete Anwendungen und Prozesse für klimaschonende Maßnahmen zu finden. „Dafür werden aber laufende Kosten als besonders kritisch angesehen“, sagt Fritz.

Über die Studie

Für die Studie wurden die Chief Sustainability Officer (CSO) von mehr als 200 europäischen Unternehmen befragt, auf welche Maßnahmen ihre Unternehmen bei der Dekarbonisierung setzen und welche Herausforderungen damit verbunden sind. Die befragten Unternehmen zählen zu den Branchen Energie, Chemie, Maschinenbau, Rohstoffe, Transport, Dienstleistungen und Konsumgüter, etwa jedes vierte befragte Unternehmen (23%) stammt aus Deutschland. Die Befragung wurde am Ende des ersten Halbjahres 2023 durchgeführt.

 

Über Oliver Wyman

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Über die TUM School of Management

Die TUM School of Management gehört zu den besten ein Prozent der Business Schools weltweit, die von der Association of MBAs (AMBA), der European Foundation for Management Development (EQUIS) und der Association to Advance Collegiate Schools of Business (AACSB) die Triple Crown-Akkreditierung erhalten haben. Die Triple Crown-Akkreditierung ist ein international anerkanntes Qualitätssiegel für Business Schools. Seit ihrer Gründung im Jahr 2002 konzentriert sich die Forschung der TUM School of Management auf Zukunftstrends und reale Lösungen, die innovationsbasierte Unternehmen voranbringen und der Gesellschaft zugutekommen.

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Pressekontakt
Daniel Hardt
Oliver Wyman
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